Woche der Meinungsfreiheit 2024

COMPLIANCE FÜR MEINUNGSFREIHEIT 

Entscheidungshilfe für Entscheider:innen

Meinungsfreiheit geht alle an – auch und gerade die Entscheider:innen in Wirtschaft und Politik. Die Woche der Meinungsfreiheit leuchtet die Grenzfälle und Grauzonen aus, in die jeder gerät, der mit Unternehmen aus illiberalen Regimen und Diktaturen zusammenarbeitet.

Was hier gebraucht wird sind Empathie und Zivilcourage, ein waches Bewusstsein für den Wert der Meinungsfreiheit und vor allem: ein Instrumentarium, für diese Werte einzutreten, ohne in internationalen Beziehungen Türen zuzuschlagen. Die Woche der Meinungsfreiheit bietet Entscheidungshilfen für Entscheider:innen.

Zusammengefasst:

  1. Meinungsfreiheit geht jeden an. Sie ist ein Menschenrecht und Grundlage einer freien, vielfältigen und demokratischen Gesellschaft. Auch im Geschäftsleben sollte man dafür eintreten.
  2. Reputation: Wer mit Diktaturen zusammenarbeitet, schadet sich zudem oftmals selbst.
  3. Entscheidungshilfe für Entscheider:innen: Neben Zivilcourage kann ein Set aus selbstgesetzten Regeln helfen, in schwierigen Situationen die Orientierung zu behalten.

Unternehmen sollten ein Interesse daran haben, für die Meinungsfreiheit einzutreten. Sie sollten genau analysieren, welchen Geschäftspartnern aus autoritär regierten Ländern sie vertrauen können und welchen nicht. Denn Meinungsfreiheit ist ein Menschenrecht und essenzieller Bestandteil unserer Vorstellung einer freien, vielfältigen und demokratischen Gesellschaft.

Darüber hinaus kann die Unterstützung autoritärer Regime der Firmenreputation schaden. Sie kann zu Problemen mit Kunden, mit Finanzierern und Investoren führen. Und auch die besten Talente stellen kritische Fragen hinsichtlich Nachhaltigkeit und Meinungsfreiheit. Zahlreiche Konzerne und Finanzinstitutionen haben sich inzwischen Regeln gegeben, die sich nicht nur auf Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen fokussieren, sondern auch das Kundenportfolio ihrer Auftragnehmer in den Blick nehmen. Ein Beispiel: Unbare Finanztransaktionen in den Iran sind kaum noch möglich.

Wer mit Diktatoren zusammenarbeitet, verrät demokratische Werte und schadet sich selbst

Der wirtschaftliche Austausch der vergangenen Jahrzehnte hat geholfen, Diktaturen zu Fall zu bringen. Die kommunistischen Regime des Warschauer Pakts sind auch deshalb zusammengebrochen, weil den Geschäftspartnern jenseits des Eisernen Vorhangs gezeigt werden konnte, dass es Alternativen zu einem Klima der Unfreiheit gibt. In diesem Zusammenhang sollte einmal überlegt werden, warum diese Strategie mit China bisher nicht verfangen hat.

Partner seriös – Regierung diktatorisch: Was tun?

Für die meisten Verantwortlichen in Unternehmen, vor allem im Mittelstand, ist es schwierig zu entscheiden, mit wem sie zusammenarbeiten sollten. Pauschale Antworten sind nicht zielführend, denn sie lassen die zahlreichen Grenzfälle außer Acht. Ein Beispiel: Wie soll ein Unternehmen mit einem seriösen Partner umgehen, dessen Regierung aber zunehmend illiberal und autoritär wird?

Deshalb schlägt die Woche der Meinungsfreiheit eine Compliance für Meinungsfreiheit vor. Damit ist gemeint: Es müssen Leitplanken für unternehmerisches Handeln in Zusammenhang mit Diktaturen, illiberalen Systemen, Scheindemokratien und autoritären Regimen entwickelt werden. Diese sollten idealerweise freiwillig und dennoch verbindlich für alle Unternehmen gelten.

Diese könnten folgende Handlungsgrundsätze umfassen:

  • Geschäftspartner: Unternehmen sollten sich vergewissern, wer ihre Geschäftspartner wirklich sind: Welche unternehmerischen und strategischen Ziele verfolgt das Unternehmen? Wer sind seine anderen Geschäftspartner und Kunden? Ist mein Geschäftspartner weitgehend frei in seinen wirtschaftlichen Entscheidungen, ist er abhängig von der Regierung, ist diese vielleicht sein Hauptauftraggeber oder gehört das Unternehmen vielleicht sogar der Regierung?
  • Produkteinsatz: Relevant sein sollte auch die Frage, was der Partner aus dem autoritär regierten Land von mir kaufen will: Welche Art von Produkten oder Dienstleistungen will er haben? Was stellt er damit an? Wofür können diese Produkte eingesetzt werden? An welcher Art von Unternehmen beteilige ich mich? An welcher Stelle ziehe ich in den Globalisierungsbestrebungen meines Unternehmens die Grenze: Dort, wo etwa Sanktionsmechanismen und Rüstungskontrollvereinbarungen greifen, oder muss ich die Schwelle niedriger ansetzen?
  • Ausstiegsoption: Ähnlich wie „Change-of-Control“-Klauseln in CEO-Verträgen könnte ein Konzern, der sich an einem Unternehmen aus einer Diktatur beteiligt, vereinbaren, dass die Verbindung gelöst wird, wenn der Partner seine Regierung aktiv darin unterstützt, Menschen- und Bürgerrechte zu beschneiden.
  • Eskalation: Der komplette Ausstieg dürfte in den meisten Fällen das letzte Mittel sein. Deshalb sollten in Kooperations- und Beteiligungsverträge Klauseln mit mehreren Eskalationsstufen eingebaut werden, die das Agieren des Partners in Bezug auf Meinungsfreiheit und Bürgerrechte adressieren. Eine Option von vielen könnte sein: Unterstützt der Partner eine Regierung aktiv darin, Bürgerrechte zu unterdrücken, werden für den Partner wichtige Projekte auf Eis gelegt: Entwicklungskooperationen werden ausgesetzt, die Unterstützung beim Aufbau neuer Standorte wird auf unbestimmte Zeit beendet, etc. und zwar solange, bis sich der Partner entsprechend erklärt und seine freiheitsfeindlichen Aktivitäten eingestellt hat.
  • Umfeld-Recherche: Unternehmen sollten bei Auslandsinvestitionen sich vergewissern, worauf sie sich einlassen: Wo kommen die Arbeitskräfte her? Kommen sie freiwillig oder handelt es sich um Inhaftierte? Wie ist der rechtliche Rahmen? Wie steht es um Arbeitssicherheit, Umwelt-Themen und Mitbestimmung? Selbstgesetzte Compliance-Regeln und der Austausch mit einschlägigen Organisationen verschaffen dem Unternehmen gesicherte Informationen. Diese wiederum können in Verhandlungen mit dem Kooperationspartner effektiv eingesetzt werden.
  • Druck: Die Stärke der westlichen Zivilgesellschaft beruht letzten Endes auf der Freiheit von Gedanken, Rede und Meinung. Innovationen sind in einem Klima von Angst und Intoleranz kaum möglich. Deshalb können wir es uns leisten, Diktatoren auch immer öfter „nein“ zu sagen. Autos kann man an (fast) jedem Ort der Welt bauen.
  • Recht: Zahlreche internationale Vereinbarungen, allen voran die Charta der Vereinten Nationen, aber auch nationale Regelwerke wie das vor kurzem in Kraft getretenen Lieferkettengesetz geben klare Handlungsgrundsätze vor, auf die Unternehmensvertreter sich in Verhandlungen mit problematischen Partnern berufen können. Und im Ernstfall kann es dann heißen: „Sorry – bitte ändern Sie in Ihrem Unternehmen diese und jene Punkte. Wir haben hier klare Bestimmungen, und wenn wir unter den aktuellen Bedingungen mit Ihnen Geschäfte machen, verstößt das gegen das Gesetz in unserem Land.“
  • Politische Führung: Die Politik sollte ihre Außen-und Wirtschaftspolitik im Hinblick auf die Achtung von Menschen- und Bürgerrechten grundsätzlich überdenken. Nur so kann sie dazu beitragen, auch für Unternehmen und Finanzinstitutionen einen soliden Handlungsrahmen zu schaffen. Kleinen und mittelständischen Unternehmen, die von der Globalisierung profitieren wollen, müssen die Möglichkeit erhalten, sich über ihre Geschäftspartner aus unabhängigen Quellen zu informieren, um bessere Entscheidungen treffen zu können. Dies könnte als Serviceleistung beispielsweise in den Industrie- und Handelskammern angesiedelt werden.
  • Zivilcourage: Spitzenpolitiker:innen, zu deren Aufgaben es zählt, mit Diktatoren umzugehen, sollten darin geübt sein, Zivilcourage zu zeigen und sich nicht von Autokraten wie Putin oder Erdogan düpieren lassen. Entsprechende Auftritte mit Wirkung vor der internationalen Öffentlichkeit sollten angemessen vorbereitet werden.

Unternehmen können nicht die Arbeit der Politik miterledigen. Von den politischen Entscheider:innen darf mit Recht erwartet werden, dass sie autoritären Regimen und Diktatoren klare Ansagen in Bezug auf Meinungsfreiheit und Bürgerrechte machen. Zudem sollten Politiker:innen es vermeiden, ihr Land in einzelnen Themen wie Migration oder Energie von dem Wohlwollen diktatorischer Regierungen abhängig zu machen. Dann kann man auch glaubwürdig und gemeinsam mit der Wirtschaft einen Handlungsrahmen erarbeiten, der die Achtung der Meinungsfreiheit in den Mittelpunkt stellt.

 

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